09 Apr Das Wechselbad der Gefühle auf der Meyer Werft
Die Schiffbauer auf der Meyer Werft in Papenburg befinden sich in einem Wechselbad der Gefühle. In der vergangenen Woche zog das Traditionsunternehmen den weltweit einzigen Auftrag für ein Kreuzfahrtschiff an Land und lieferte mit der ODYSSEY OF THE SEAS das dritte Kreuzfahrtschiff während der Corona-Pandemie ab. Und doch: Der Branchen-Primus für Schiffbau „Made in Germany“ ist durch Corona stark angeschlagen. Für den Täglichen Hafenbericht habe ich eine Zusammenfassung der Lage geschrieben.
Der Markt im Bau von Kreuzfahrtschiffen wurde bisher maßgeblich von der Werftengruppe am Stammsitz in Papenburg sowie in Rostock (Neptun Werft) und Turku (Meyer Turku) und den Mitbewerbern Fincantieri (Italien) und Chantiers de´l Atlantique (Frankreich) bestimmt. Nahezu alle großen Reedereien der Welt bestellten in Papenburg und Turku in den vergangenen Jahren Kreuzfahrtschiffe, die im Laufe der Zeit immer größer wurden. Die ODYSSEY OF THE SEAS war in der vergangenen Woche das 52. Kreuzfahrtschiff aus Papenburg, das an den Auftraggeber Royal Caribbean International geliefert wurde.
Das Traditionsunternehmen, das 1795 von Willm Rolf Meyer am Papenburger Hauptkanal gegründet wurde, steht für Innovationen und Rekorde: So zog Meyer mit der Helios-Klasse im Jahr 2015 einen gigantischen Auftrag im weltweiten Schiffbau an Land. Mittlerweile umfasst die Serie neun mit Flüssigerdgas (LNG) betriebene Kreuzfahrtschiffe für den größten Kreuzfahrtkonzern der Welt, die Carnival Corporation. Die Papenburger lieferten mit der AIDAnova Ende 2018 das weltweit erste vollständig mit LNG betriebene Kreuzfahrtschiff an AIDA Cruises. Es war zugleich das erste Schiff der Baureihe, zu der unter anderem auch die von Meyer Turku für Costa Crociere gebaute COSTA SMERALDA und die MARDI GRAS von Carnival Cruise Line gehören.
Vier Kreuzfahrtschiffe pro Jahr aus Papenburg waren geplant
Für die Zukunft war vor der Corona-Krise allein in Papenburg der Bau von vier Kreuzfahrtschiffen im Jahr geplant. Nach meinen Informationen stand die Werft kurz vor Beginn der Pandemie vor dem Abschluss für ein neues Projekt. Um bestens gerüstet für die Zukunft zu sein, investierte Meyer in den Bau eines modernen Logistikzentrums 40 Millionen Euro – eine der bisher größten Investitionen in der jüngeren Vergangenheit. Das Logistikzentrum ging im vergangenen Jahr in den Testbetrieb.
Im Frühjahr 2020 schlug die Corona-Pandemie zu und traf die Kreuzfahrt hart. Der einst am stärksten wachsende Tourismus-Zweig befindet sich seitdem in einer harten Krise. Noch immer liegt ein Großteil der weltweiten Flotte von rund 400 Kreuzfahrtschiffen auf. Speziell auf dem so wichtigen US-Markt lahmt die Kreuzfahrt noch immer. Auflagen der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC machen Kreuzfahrten nahezu unmöglich. Die aufliegenden Schiffe kosten die Eigner pro Tag Millionen, denen sie derzeit keine Einnahmen für Urlaub auf dem Wasser gegenüberstellen können.
Die Meyer Werft wurde gnadenlos mit in den Krisen-Strudel gezogen. Mit Beginn der Pandemie verzögerte sich deshalb die Abnahme der im Frühjahr 2020 fertiggestellten IONA durch den Kunden P&O Cruises. Über mehrere Monate musste deshalb das Schiffbauunternehmen außerplanmäßige Kosten, wie unter anderem Liegegebühren von 5000 Euro pro Tag an das Columbus Cruise Center in Bremerhaven zahlen. Mehr als 200 Tage nach ihrer Ems-Passage von Papenburg zur Nordsee wurde die IONA im Oktober 2020 schließlich an P&O Cruises übergeben. Passagiere hat sie bis dahin noch immer nicht befördert. Erst ab dem 7. August stehen im Rahmen der ersten Kreuzfahrten für ausschließlich britische Passagiere die ersten Touren an.
Streckung statt Stornierung
Durch die anhaltende Krise in der Kreuzfahrt brauchen Meyers Kunden ihre vor Jahren bestellten Schiffe eigentlich derzeit nicht. Die Geschäftsleitung hat sich im Laufe des vergangenen Jahres mit nahezu allen Kunden, darunter Carnival, Silversea Cruises und Disney Cruise Line, auf eine Streckung ihres Auftragsbuches und die damit verbundene spätere Auslieferung der Schiffe geeinigt. Dadurch konnten Stornierungen von bestellten Schiffen glücklicherweise vermieden und Beschäftigung bis ins Jahr 2025 gesichert werden.
Aber dennoch: Die Situation des Unternehmens, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, ist die schwerste Krise des Unternehmens seit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte Bernard Meyer 2020 schon mehrfach deutlich gemacht. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen 40 Prozent Verlust gemacht. Durch eine geringere Arbeitsauslastung von 40 Prozent hat sich das Unternehmen einen Milliardensparkurs auferlegt. 1,25 Milliarden muss der Schiffbauer sparen. Juniorchef Jan Meyer stellte in einer Journalistenrunde erst in der vergangenen Woche unmissverständlich klar: In Papenburg werde 80 Prozent des deutschen Schiffbaus abgedeckt und daher „geht es nicht nur um den Erhalt des Standortes Papenburg, sondern auch um ein riesiges Stück des deutschen Schiffbaus“.
Erstmals gingen die rund 4000 Stammbeschäftigen im Mai 2020 für zunächst zwei Monate in Kurzarbeit. Die Wochenarbeitszeit wurde auf 30 Stunden reduziert. Strittig waren in diesem Zusammenhang zwischen Betriebsrat, IG Metall und Meyer-Geschäftsleitung unter anderem Punkte wie eine tägliche Arbeitszeit von sechs Stunden ohne Pause. Im Sommer wurde die Kurzarbeit bis Jahresende 2020 verlängert, Anfang dieses Jahrs bis Ende Juni 2021. Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertreter ringen nun seit Monaten um die Zukunft der Arbeitsplätze.
Entlassungsszenarien empören Arbeitnehmer-Seite
Für Empörung aufseiten der Arbeitnehmervertreter sorgten zuletzt öffentlich gewordene Entlassungsszenarien mit einem Abbau von bis zu 1800 Arbeitsplätzen. Aus Sicht von Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall ist nach wie vor ausreichend Arbeit für die Stammmannschaft da. Die Arbeitnehmervertreter werfen der Geschäftsleitung vor, Stammarbeitsplätze in den Kernfertigungsbereichen durch Werkvertragsarbeiter ersetzen zu wollen. Die Unternehmensführung bestreitet das und betonte zuletzt mehrfach, dass der Werftstandort Papenburg in Gänze gefährdet sei, wenn es nicht gelinge, „intelligente Lösungen“ für eine Zukunft mit einer wettbewerbsfähigen Meyer Werft zu finden. Nach Angaben von Jan Meyer ist die erste Hälfte des 1,25-Milliarden-Euro-Sparziels bereits durch intelligente Vorschläge aus den Reihen der Beschäftigten erreicht. „Dennoch muss es uns gelingen, auch die zweite Hälfte zu erreichen und so die Werft auf stabile Füße zu stellen“, so Meyer.
Die angespannte Situation sei durch den erteilten Neubauauftrag für ein Kreuzfahrtschiff für den japanischen Konzern NYK keineswegs gebannt, so der Papenburger. „Es tut aber gut“, so Meyer, der mit seinem „Sales und Design“-Team rund 9 Jahre im Gespräch mit NYK war. Die Geduld hat sich ausgezahlt. Erstmals in der 226-jährigen Werftgeschichte wurden alle Vertragsunterlagen und Pläne im Rahmen von Videokonferenzen erstellt und verhandelt. Die Produktion in Papenburg ist auf ein jährliches Bauvolumen von 420.000 GT ausgelegt, der NYK-Neubau und ein Kreuzfahrtschiff für Disney Cruise Line haben in Summe für 2025 ein Volumen von 182.000 GT.
Nach der Freude über Neuauftrag und Schiffsablieferung in Papenburg wird die Führungsmannschaft der Meyer Werft also nun schon wieder mit spitzem Bleistift über ihrem Sparprogramm brüten, damit der Klassenprimus im Bau von Kreuzfahrtschiffen die Krise übersteht und damit ein großes Stück „Schiffbau made in Germany“ erhalten bleibt.
Zur Lage der Meyer Werft ein Kommentar aus dem September 2020.
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