21 Okt Der erste Mann bei der Emsüberführung- Meyer-Werft-Kapitän Wolfgang Thos
Am kommenden Wochenende wird die AIDAcosma, das 53. Kreuzfahrtschiff der Meyer Werft von Papenburg in Richtung Nordsee überführt. Auf der Brücke hat dann Werftkapitän Wolfgang Thos das Kommando. Der Papenburger gehört der Lotsenbrüderschaft Emden an und ist seit 2010 Werftkapitän der Meyer Werft. Ich habe Thos vor einigen Jahren für eine Verlagsbeilage der NOZ Medien zum damals neuen Meyer-Kreuzfahrtschiff NORWEGIAN ESCAPE interviewt.
Christoph Assies: Die Emsüberführungen der Kreuzfahrtschiffe ziehen immer viele Schaulustige an den Deich. Ist das für Sie eigentlich noch etwas Besonderes?
Wolfgang Thos: Ganz sicher. Ich habe die Emsüberführungen ja schon als Schüler vom Deich verfolgt. Da lässt man sich davon auch gefangen nehmen. Jetzt sehe ich es nur von innen und da bin ich auch mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Aber spannend ist es in jedem Fall. Jedes Schiff hat seine eigenen Anforderungen.
Was genau sind Ihre Aufgaben während der Überführung?
Als Kapitän habe ich die Gesamtverantwortung über das Schiff. Der Werfkapitän ist sehr eng mit der Projektleitung der Werft verbunden und das Besondere ist, dass wir es hier mit einer fahrenden Baustelle zu tun haben; einem Schiff, an dem noch die letzten Arbeiten vorgenommen werden. Ich bin somit eine Art verlängerter Arm der Projektleitung. Darüber hinaus leite ich das siebenköpfige Überführungsteam der Lotsenbrüderschaft Emden. Das ist eine Gruppe von Lotsen, die speziell für diese Überführungen geschult wird. Der Werftkapitän und die Lotsenbrüderschaft Emden beraten die Meyer Werft aber auch bei anderen Dingen, wie beispielweise bei der Optimierung von Prozessen, wie der Überführung von Blöcken von anderen Werften nach Papenburg.
Wie lange brauchen Sie für die Vorbereitung auf die Überführung? Welche Rolle spielt da der Simulator?
Wir nutzen in Wageningen (Niederlande) den Simulator, mit dem wir uns ganz explizit auf die Überführung vorbereiten. Auf die reine Überführung bereiten wir uns im Simulator sechs Tage vor. Wir teilen die eingesetzten Lotsen und die Schlepperkapitäne in zwei Gruppen auf und dann wird dort zweimal drei Tage intensiv trainiert.
Ist die Simulation auch bei baugleichen Schwesterschiffen immer wieder nötig?
Ja. Wir simulieren hier nicht nur in Realzeit das Schiff in seiner Bauart und Störungen im technischen Bereich, sondern wir bilden unsere eigenen Leute kontinuierlich entsprechend aus, dass jeder im Team jede Position im Überführungsteam besetzen kann. Es ist nicht damit getan, dass wir die Strecke einfach nur abfahren.
Wie muss ich mir den Simulator genau vorstellen?
Wir haben bei diesem Simulator in Wageningen auch eine visuelle Darstellung des Szenarios. Das Hauptaugenmerk liegt aber hier nicht auf der visuellen Darstellung. Die ist eher untergeordnet, weil das auch sehr viel Rechenkapazität kostet. Für uns sind die Umweltdarstellungen deutlich wichtiger. Ich meine damit die Darstellung des Schiffes im Fluss mit Sogeffekten und Strom und Wind. Im Übrigen fahren wir bei der Überführung bis nach Eemshaven (Niederlande) auch mehr nach unseren Instrumenten, als visuell.
Ist die Dockschleuse im Werfthafen wirklich der kritischste Punkt der Etappe bis zur Nordsee?
Es ist sicherlich ein Nadelöhr. Wir brauchen ja nicht umsonst knapp zwei Stunden für den ersten Schritt, vom Ablegen bis nach der ersten Kurve. Ich muss aber auch etwas ausholen. Es ist ja so: Wir gehen an Bord und setzen uns ans Steuer und dann brauchen wir alle eine Weile, um die Dinge um uns herum zu erfassen. Wenn wir etwa eine halbe Stunde gefahren sind, dann stellt sich eine gewisse Ruhe ein. So ist es später auf der Ems auch. Die Friesenbrücke in Weener ist im Übrigen nicht weniger kompliziert zu fahren. Jedes Bauwerk auf dem Weg zur Nordsee hat so seine Besonderheiten. Wir müssen schon sehr konzentriert und sorgfältig in dem sein, was wir tun.
Worauf kommt es bei der Überführung eines Schiffes für Sie als Kapitän besonders an?
Es geht eigentlich immer darum, dass wir uns gegenseitig kontrollieren bei dem, was wir machen. Da spielt es auch keine Rolle, ob der Kapitän gerade am Ruder steht oder jemand anderes aus dem Team. Auf der Brücke stehen bei der Überführung mit uns auch Vertreter des Wasser- und Schifffahrtsamtes und des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft Küsten- und Naturschutz und all das muss koordiniert werden. Mittlerweile kennen wir uns aber alle sehr gut und wissen gegenseitig, was wir voneinander erwarten können. Jedes kleine Zahnrad ist für sich sehr wichtig bei der Überführung. Es ist nicht einer, der das Schiff fährt, sondern ein Team, das zusammenarbeitet.
Welche Rolle spielt das Wetter bei der Überführung?
Das ist absolut essenziell wichtig. Regen und Nebel interessieren uns nun nicht so sehr, da wir ohnehin nach den Instrumenten fahren. Wind hingegen ist das höchste Kriterium. Wir arbeiten mit dem Wetterdienst zusammen, der uns für den Überführungszeitraum ganz genaue Daten im Stundentakt für unsere Route liefert.
Wie weit im Voraus schauen Sie sich die Wetterlagen für den Überführungszeitraum an?
Ich bin Seemann genug, um zu wissen, dass eine absolut präzise Wettervorhersage, die über drei Tage hinaus geht, ein bisschen etwas mit Zauberei zu tun hat. Dennoch schauen wir eine Woche vorher auf die Großwetterlagen.
Früher wurden die Luxusliner mit Schleppleinen geführt, jetzt gibt es eine Art Adapter an Bug und Heck. Erklären Sie uns doch einmal dieses System.
Der größte Vorteil ist, dass die Schlepper unmittelbar eine unterstützende Wirkung für das Schiff haben. Wenn ich einen Schlepper habe, der an einer Leine hängt, dann habe ich nur eine resultierende Wirkung, also weniger Kraft und dann auch mit einer zeitlichen Verzögerung. Die neue Strategie hat sich schon sehr bewährt.
Sie sind mit der Emsüberführung der GALAXY angefangen. Als nächstes manövrieren Sie die OVATION OF THE SEAS im Frühjahr 2016 über die Ems. Die Schiffsgrößen haben sich sehr verändert. Werden die Überführungen zunehmend schwieriger?
Die Anforderungen waren damals sicherlich anders. Wir sind 2001 mit der RADIANCE OF THE SEAS erstmals rückwärts über die Ems gefahren. Vorher waren das Höchstleistungen, weil damals größtenteils auf Sicht gefahren wurde. Insofern: Die Schiffe waren kleiner, aber die Leistungen bei der Überführung ist im Rückblick eigentlich gar nicht hoch genug zu bewerten. Das wäre bei solchen Schiffsgrößen, wie wir sie heute haben, gar nicht mehr machbar.
Von Umweltschützern werden die Überführungen auf der Ems immer wieder kritisiert. Wie stehen Sie zu dem Thema?
Ich denke es ist wichtig, dass die Menschen Dinge kritisch betrachten und hinterfragen. Die Meyer Werft sucht auch immer wieder den Dialog. Wir haben es hier mit einer Symbiose von Wirtschaft und Umweltschutz zu tun. Jeder, der nicht unmittelbar mit der Werft verknüpft ist, kann natürlich sehr leicht konträr argumentieren. Jeder, der hier lohnabhängig beschäftigt ist, wird die Dinge möglicherweise von einer ganz anderen Seite beleuchten. Die Wahrheit liegt sicher irgendwo in der Mitte, aber ich finde es wichtig, dass alle Beteiligten immer im Dialog miteinander stehen und das findet hier statt. Als Lotse sehe ich natürlich auch, dass es viel mehr Schifffahrt gibt, welche die Wasserstraße Ems nutzen. Generell stehe ich hinter den Projekten der Werft, ansonsten würde ich nicht in dieser Position arbeiten.
Zur Person: In Papenburg geboren, seit 1996 Mitglied der Lotsenbrüderschaft Emden, 1996 erstmals im Einsatz bei der Emsüberführung des Kreuzfahrtschiffes GALAXY (heute MARELLA EXPLORER), 2010 erstes eigenes Kommando bei der Überführung der DISNEY DREAM.
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